Selbstbewusstsein
Evidenzbasierte Medizin: Wie findet man Antworten auf medizinische Fragen?
Veröffentlicht am:26.05.2025
5 Minuten Lesedauer
Welche Behandlung ist die beste für meine Krankheit? Welche Vor- und Nachteile haben bestimmte Therapien? Forschungswissen ist heute aus medizinischen Entscheidungen nicht mehr wegzudenken. Wie Laien beurteilen können, ob Studien seriös sind.

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Wissenschaftliche Studien beurteilen
„Das hat eine Studie ergeben.“ Die meisten Menschen, die diesen Satz lesen, sind schon überzeugt: Bei dem, was die Studie herausgefunden hat, handelt es sich um eine unumstößliche Wahrheit. Dabei lohnt es sich, genauer hinzuschauen. Wie wurde die Studie durchgeführt? Wer hat sie gemacht? Was besagt das Ergebnis (und was nicht)? Und ist die Studie überhaupt seriös?
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Während der Corona-Pandemie konnten wir quasi in Echtzeit verfolgen, wie Forschungserkenntnisse zu einem neuen Erreger in einem rasanten Tempo das Wissen vermehrten. Ähnlich viel Forschung passiert tagtäglich zu sehr vielen Themen – nur mit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit. Der Wissenszuwachs optimiert die medizinische Behandlung und hat die Prognose zahlreicher Krankheiten enorm verbessert.
Damit nicht jede Ärztin und jeder Arzt ständig nach allen klinischen Studien zu einer bestimmten Frage suchen muss, fassen Fachleute den wissenschaftlichen Stand zur Behandlung verschiedener Krankheiten in medizinischen Leitlinien zusammen. Viele davon gibt es übrigens auch als sogenannte Patientenleitlinien – leicht verständliche Versionen für Laien.
Was ist eigentlich evidenzbasierte Medizin?
Früher mussten sich Medizinerinnen und Mediziner bei ihrer Arbeit allein auf ihre Ausbildung und persönliche Erfahrung verlassen. Heute hilft das enorme Wissen aus der Forschung (Fachleute sprechen von wissenschaftlicher Evidenz), bessere Entscheidungen zu treffen. Die wissenschaftliche Evidenz auf die individuelle Versorgung anzuwenden – das meint evidenzbasierte Medizin (EbM).
Weil täglich sehr viele Studienergebnisse veröffentlicht werden, helfen Zusammenfassungen des aktuellen Forschungsstands den behandelnden Ärztinnen und Ärzten, die jeweils relevanten Erkenntnisse zu nutzen. Das Ziel ist dabei immer, die bestmögliche Versorgung für den jeweiligen Patienten oder die Patientin zu finden. Dabei werden neben Forschungsergebnissen auch die Wünsche der Behandelten einbezogen.
EbM besteht aus drei Säulen: der klinischen Erfahrung der Behandelnden, den Werten und Wünschen der Patientinnen und Patienten und dem aktuellen Stand der klinischen Forschung.
Welche Studien sind aussagekräftig?
Medizinische Studien, die in Leitlinien aufgeführt werden, können als bedeutend angesehen werden. Schließlich wurden sie von Spezialistinnen und Spezialisten gesichtet und als wichtigster aktueller Wissensstand für die Leitlinie berücksichtigt. Dafür beurteilen die Fachleute auch, wie aussagekräftig die Studien sind. Das hängt nämlich von verschiedenen Faktoren ab; etwa dem Studiendesign und der Zahl der Teilnehmenden. Studie ist also nicht gleich Studie.
Als aussagekräftigste aller klinischen Studien gelten in der Forschung randomisierte kontrollierte Untersuchungen. Randomisiert kontrolliert bedeutet, dass Teilnehmende nach dem Zufallsprinzip der Therapie oder einer Vergleichsgruppe zugeordnet werden. Dadurch sollen im Idealfall alle Risikofaktoren, die das Ergebnis der Studie beeinflussen können, zwischen beiden Gruppen so ausgeglichen sein, dass diese Gruppen sich durch nichts als die Therapie unterscheiden. Noch besser sind sogenannte Meta-Analysen, die viele gut gemachte randomisiert kontrollierte Studien zu einer Fragestellung zusammen auswerten. Denn einzelne Studien irren sich durch Zufall leichter.
Eine Frage des Studiendesigns
Allerdings sind großen Studien mit Zufallszuordnung nicht zu allen Fragen möglich. Wollen Sie etwa herausfinden, ob es langfristig ungesund ist, jeden Tag Käse zu essen, werden Sie kaum Personen finden, die sich nach dem Zufallsprinzip für die nächsten Jahrzehnte einer Käse-Gruppe, einer Wenig-Käse-Gruppe und einer Nicht-Käse-Gruppe zuordnen lassen. Noch bedenklicher wird es bei schädlichen Einflüssen wie zum Beispiel Rauchen. Hier eignen sich Beobachtungsstudien besser, die Teilnehmende zu einem Zeitpunkt befragen oder über einen längeren Zeitraum immer wieder befragen und untersuchen.
Da sich in Beobachtungsstudien die Gruppen in der Regel unterscheiden, müssen beim Auswerten statistische Methoden angewendet werden, um die unterschiedlichen Gruppen vergleichen zu können. Häufig wird versucht, Unterschiede im Alter, Geschlecht, sozioökonomischen Status und Vorerkrankungen aus dem Ergebnis herauszurechnen.
Sinnvolle Vergleiche zwischen zwei Gruppen
Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, ob die Fragestellung sinnvoll ist und das Studiendesign geeignet, die Frage zu beantworten. Möchten Sie zum Beispiel Wirksamkeit und Nebenwirkungen eines neuen Medikaments testen, sollte die Kontrollgruppe am besten die Behandlung bekommen, die zur Zeit Standard ist – nur so werden Sie herausbekommen, ob es sich bei der neuen Substanz um eine echte Innovation handelt und sie Vorteile gegenüber der bereits bekannten Therapie hat.
Interessant ist auch immer, wieviele Personen an der Studie teilgenommen haben und über welchen Zeitraum die Studie lief. Sowohl zu kurze Zeiträume, als zu wenig Probandinnen und Probanden können zu ungerechtfertigten positiven oder negativen Ergebnissen führen.
Bei Studien wird meist angegeben, ob die Ergebnisse „signifikant“ sind. Das Signifikanzniveau wird mit statistischen Methoden berechnet. Ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Ergebnisse zufällig zustande kommen (unter 5 Prozent Wahrscheinlichkeit), sprechen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von einem signifianten Ergebnis.

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Ist die wissenschaftliche Studie seriös? Eine Checkliste
Die Qualität und Aussagekraft einer wissenschaftlichen Studie zu beurteilen, ist oft sehr komplex. Diese Fragen helfen bei der ersten Einschätzung, ob es sich um eine seriöse Studie handelt:
- Wer hat die Studie gemacht? Sind die Autorinnen und Autoren unabhängig von finanziellen Interessenskonflikten und haben keine Verbindungen zu Industrie oder Lobbygruppen?
- Liegt der Studie eine klare beantwortbare Frage zugrunde und wie lautet diese?
- Ist das Studiendesign geeignet, eine Antwort auf die Studienfrage zu geben? Wurde zum Beispiel bei einer Medikamentenstudie die Vergleichsgruppe sinnvoll ausgewählt? Wird die Methodik im Artikel korrekt dargestellt? Ist die Zuweisung zu Kontroll- und Therapiegruppe randomisiert? Wurde bei einer Beobachtungsstudie versucht, den Unterschied in den Gruppen auszugleichen?
- Wo wurde die Studie veröffentlicht? Renommierte Fachmagazine wie Lancet oder das British Medical Journal prüfen die eingereichten Arbeiten vor der Veröffentlichung auf Glaubwürdigkeit.
- Passen die Schlussfolgerungen der Autorinnen und Autoren zu den Studienergebnissen?
- Wird in Publikumsmedien über Studien berichtet: Gibt es auffällige Vereinfachungen, unzulässige Verallgemeinerungen oder übertriebene Aussagen im Artikel, die nicht zur Originalstudie passen?
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